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Ein Reprint eines Artikel Mike & Ray Mentzer – “Bodybuilding Tod kam zweimal” aus der Süddeutschen Zeitung vom 02.08.2002 über die Mentzer-Brüder  von Philipp Oehmke.

Mike und Ray Mentzer lebten, um zu trainieren und trainierten, um zu leben. Dann starben sie, im Abstand von 38 Stunden. Er war ja einer von ihnen, sagte der alte Joe Gold noch, und die anderen beiden nickten. Schlimm, wenn einer der eigenen stirbt. Gold und die beiden anderen Männer sind zusammengekommen im Büro des World Gym, einer Fitnesshalle in Venice Beach, Kalifornien, ein Samstagnachmittag: Joe Gold, 82 Jahre, seine Beine im Rollstuhl, Gründer von Gold`s Gym, jenem Ort, an dem Bodybuilding Anfang der Siebziger explodierte; Gordon Mitchell, 79 Jahre, die Hände zitternd, ein berühmter Muskelmann der Fünfziger und Darsteller in mehr als 200 italienischen Haudrauf-Filmen, heute Maler; Gene Mozee, 68 Jahre, sein Rücken zu einem Buckel gewölbt, der erste Bodybuilding-Trainer der Welt, heute Autor für Ironman , eine einflussreiche Bodybuilding-Zeitschrift. Ein vierter Mann befindet sich im Raum, Steve, er steht den Alten zu Diensten, ein ehemaliger Hell`s Angel, der sich sogar das Nasenloch hat tätowieren lassen.
 

Die Männer pressen Worte hervor, mürrisch, streiten über jenes Thema, das die Bodybuilder von Venice Beach seit einem Jahr beschäftigt, einen Vorfall, den keiner erklären kann, den viele auch nicht erklären wollen: Mike Mentzer, verstorben am 9. Juni vergangenen Jahres, 49 Jahre, ehemals Mister America und Mister Universum, genannt der Bodybuilding-Guru. Die offizielle Todesursache: Verkalkung der Herzgefäße. Nur 38 Stunden später, am 11. Juni vergangenen Jahres, starb in der gleichen Wohnung auch sein Bruder Ray Mentzer, 47 Jahre, ebenfalls Profi-Bodybuilder, ehemals Mister America. Offizielle Todesursache: Verkalkung der Herzgefäße.
“Natürlich hat das mit den Drogen zu tun…” setzt Mozee, der Autor, an, doch Gold unterbricht ihn:
“Ich nenne Steroide nicht Drogen, sondern Chemikalien, Gene.”
 “Okay, aber auf jeden Fall zerstören sie deine Nieren und das hat in Rays Fall zu seinem Herzversagen geführt.”
 “Das weißt du nicht.”


 “Es könnte auch Selbstmord gewesen sein, weil er den Tod seines Bruders Mike nicht verkraftet hat”, sagt Mitchell, der Schauspieler.
 “Und Mike stirbt vorher einfach so?” Mozee versucht es erneut.
 “Er hat sich zehn Jahre lang systematisch zu Grunde gerichtet. Du weißt das, Gene”, erwidert Gold und schiebt die Hand in seine Lammfellpuschen, um seine Fußsohle zu kratzen. Dann schweigen die Alten, genervt vom jeweils anderen, genervt von diesem Gespräch, das sie schon so oft geführt haben und das sich immer wieder nur um die eine Frage drehte: Was ist mit den Mentzers passiert? Was war das überhaupt für ein Leben?


Klar ist, dass in der Nacht des 9. Juni letzten Jahres die Brüder Mike und Ray Mentzer gegen ein Uhr in ihr Apartment in Torrance, südliches Los Angeles, zurückkehrten. Beide waren erschöpft, sie hatten ein paar Bier getrunken und den Tag damit verbracht, ein Bodybuilding-Video zu drehen, Mike Mentzers Lebenswerk, wie er sagte. Mentzer demonstriert im Video jene umstrittene Trainingsmethode, für die er die letzten zwanzig Jahre gekämpft hatte, die untrennbar mit seinem Namen verbunden war, die ihn reich gemacht hatte und zu einem Guru für manche, für andere zu einem Wahnsinnigen. Die Methode verlangt von Athleten, selten zu trainieren, dafür aber mit Gewichten bis zu tausend Pfund, so lange, bis die Muskeln für Stunden, oft Tage erlahmten. Die Mentzers waren in schlechter Form an diesem Tag, erinnert sich der Produzent des Videos, ein ukrainischer Immigrant namens Val Segal: Mike hatte eine Rückenoperation hinter sich, bei seinem Bruder Ray hatten die Ärzte Nephropatie diagnostiziert, eine Niereninsuffizienz, die ihn viermal in der Woche zur Dialyse zwang. Nach dem Dreh lud Segal die beiden Brüder zu Sushi und Bier bei “Kifuni” in Marina del Rey ein und gegen eins verabschiedete er die Brüder, das letzte Mal lebend zusammen. Zu Hause ging Ray gleich ins Bett. Mike setzte sich an seinen Computer. Er schrieb oft bis tief in die Nacht flammende, gestelzte Aufsätze über seine Trainingsmethode, das High-Intensity Training. Gegen drei Uhr morgens ging Ray auf die Toilette, sein Bruder saß immer noch am Computer. Um neun Uhr aber lag Mike Mentzer auf dem Teppich, nach hinten übergekippt mit seinem Schreibtischstuhl, erbrochenes Blut lief über seine Brust. Er war tot.
 Mike war Rays Idol, gemeinsame Freunde sagen, Ray hätte für Mike gelebt, den Bruder, der immer einen Schritt weiter, schneller, stärker war als er. Ray lachte selten, eigentlich hatte niemand ihn je lachen gesehen. Ray sagte, er würde nun an Mikes Stelle treten, er würde Mikes Schüler übernehmen, Hunderte waren das, denen Mike per Telefon das richtige Bodybuilding beibrachte. Am Montagmorgen ging Ray nicht zur Dialyse, es war ja ein Ausnahmetag. Abends brachte der Produzent Segal ein Truthahnsandwich und eine Pepsi bei Ray vorbei, doch der schlief. Er schnarchte, erinnert sich Segal.


 Am nächsten Morgen bekam Joanne Sharkey einen Anruf, Mike Mentzers Assistentin und Vertraute. Die Dialyse-Klinik war dran, Ray Mentzer würde die Tür nicht öffnen. Sharkey schickte ihren Mann Tom, einen ehemaligen Green-Beret-Soldaten, nach Torrance, wo er in Rays Apartment einbrach und ihn im Bett fand, leblos wie sein Bruder zuvor. Um 9 Uhr 42 stellte der Notarzt auch Ray Mentzers Tod fest. Während in den folgenden Tagen das Büro des Sheriffs die Ermittlungen einleitete, ging die Nachricht vom Tod der Brüder wie ein Beben durch die Bodybuilding-Welt, vor allem aber durch Venice, dort, wo jeder die Mentzers kannte, mochte oder hasste. Mike Mentzer habe sich mit seiner merkwürdigen Trainigsmethode umgebracht und sein Bruder habe sich selbst getötet, so die Gerüchte auf dem Parkplatz vor dem Gold`s Gym. Dr. Christopher Rogers, Gerichtsmediziner des Los Angeles Sheriff Department, stellte neben einer ausgeprägten atherosklerotischen Herzerkrankung im Blut beider Brüder eine tödliche Dosis Morphium fest. Venice Beach liegt ziemlich genau in der Mitte der Küste von Los Angeles und ist eigentlich nur für zwei Erfindungen berühmt, beide aus den frühen Siebzigern: Die erste kam von ein paar jungen Rowdys, die in Venice aus dem Rollbrettfahren das Skateboarding machten, die zweite von ein paar jungen Muskelmännern, die aus Fitnessübungen das Bodybuilding schufen. Bei beiden Erfindungen bestand das Neue darin, aus Sport Identität zu schöpfen, ein Lebensprinzip zu schaffen. Dieses Bewusstsein erzeugte Stolz – etwas, das zu dieser Zeit in Venice schwer zu finden war, denn Venice verweste Ende der Sechziger, ein bedrückendes Stück Sand und Beton.
 Einst strahlte Venice, es war ein Vergnügungsort für die Reichen, sie bauten Brücken und Kanäle wie in Venedig, Achterbahnen und Riesenräder wie in Coney Island an die herrlichen Strände. Doch in den sechziger Jahren schluckte Los Angeles den Ort am Meer, die Reichen blieben weg, die Piers verfielen. Niemand räumte ihren Schutt weg: eine verlassene Goldgräberstadt, nur lag sie am Strand. In diesem Venice Beach beginnt die Geschichte der Brüder Mike und Ray Mentzer im Jahr 1977, als Mike aus Ephrata, einer Kleinstadt in Pennsylvania, an die Westküste zog, nach Kalifornien, dem Ruf des Gold`s Gym folgend. In der Fitnesshalle von Joe Gold drängten sich damals bis zu 300 Profi-Bodybuilder, das entsprach ungefähr 98 Prozent des Weltbestands. Noch früher, in den Sechzigern, daheim in Pennsylvania, Mike Mentzer war 14, da kaufte er eine Ausgabe der Bodybuilding-Zeitschrift Muscle Builder . Jeden Tag soll der Junge in der Zeitschrift geblättert haben, oft für Stunden, und schließlich malte er eine Vorhersage seiner eigenen Zukunft auf das Titelblatt: “Mike Mentzer – Mr. America 1972. Mike Mentzer – Mr. Universe 1974. Mike Mentzer – Mr. Olympia 1976.” Das war 1965 und ab jetzt hob Mentzer jeden Tag Gewichte, daheim in der Garage, sein Bruder Ray hob bald mit. Es war eine gute Jugend, sagte Mike Mentzer später und erzählte den Freunden in Venice auch, er habe in der Highschool mehr als hundert LSD-Trips eingeschmissen. Eine Bemerkung, die zunächst niemand so recht glaubte. Es wurde ja viel erzählt in Venice.


Im Jahr 1975 gewann Arnold Schwarzenegger zum sechsten Mal in Folge den Mister-Olympia-Titel, das ist die Profiweltmeisterschaft, die höchste Auszeichnung im Bodybuilding. Natürlich trainierte auch Schwarzenegger hier in Venice, natürlich in Joe Golds Fitnesshalle. Mentzer schaffte es in diesem Jahr auf das Titelblatt des Magazins Muscle Builder , jener Zeitschrift, in die er sich zehn Jahre zuvor selbst eingeschrieben hatte. Unter seinem Bild stand die Zeile gedruckt: “In einem Jahr werde ich Arnold Schwarzenegger schlagen.” Eine Voraussage, die sein Leben bald zerstören sollte. Mentzer zog aus nach Venice, das war 1977, und brach sein Psychologiestudium ab, denn er hielt Sigmund Freud für einen Idioten. Freud konnte den Kranken ja doch nicht helfen, jedenfalls ließen Freuds Lehren Mentzer selbst regelmäßig im Stich, wenn er, wie neuerdings immer häufiger, tagelang in diese dunklen Löcher hineintaumelte. Vielleicht würden die Löcher weggehen, dort in der Sonne von Venice. Schwarzenegger begrüßte Mentzer in Venice mit einem Plakat: “Mentzer is coming”, und Mentzer war stolz. Ja, er kam. Doch Jerry Brainum, ehemaliger Profi-Bodybuilder und heute Autor für Ironman , sagt, Schwarzenegger habe nur gespielt: “Arnold hat immer auf dumm getan. Hat ständig blöde Fragen in diesem lächerlichen Akzent gestellt und doch alle manipuliert.” Tatsächlich aber zog Schwarzenegger sich in den späten Siebzigern aus dem Profi-Bodybuilding zurück, Frank Zane, der neue Mister Olympia, schien schlagbar, war nur eine Zwischenstation zu einem neuen, gigantischen Typ Bodybuilder: Mike Mentzer, kein hübscher Junge mit schönen Muskeln, sondern Ausdruck ausufernder Kraft. 1978 gewann Mike Mentzer in Acapulco den Titel des Mister Universe mit höchstmöglicher Punktzahl, dem “perfect score”, unerreicht bis dahin. Jetzt arbeitete Mentzer bei Nacht und Tag. Zum Wachbleiben zog er Amphetamine durch die Nase, Speed. Er gibt Seminare und schreibt Artikel, die Bodybuilding wissenschaftlich und logisch betrachteten, Pamphlete für seine unkonventionelle, harte Trainingsmethode. Mentzer war der Erste, der nicht nur einfach Gewichte hob. Er nahm an, dass Muskeln am besten wachsen, wenn sie bis zum Schmerz ermüdet werden und dann viele Tage zum Erholen bekamen. Er nannte diese Methode Heavy Duty oder High-Intensity Training und hatte sie eigentlich von dem verschrobenen Südstaatler Arthur Jones, dem Chef der Firma Nautilus, der mit seinen Fitnessmaschinen so viel Geld verdient hat, dass er eine eigens angeschaffte Boeing 707 auf seiner Farm in Florida landen ließ, spaßeshalber.
Auch Mentzers Kumpel Jerry Brainum fiel auf, wie merkwürdig Mentzer trainierte: Eigentlich trainierte er nie. Während die anderen Bodybuilder in Venice mehrmals täglich mindestens eine Stunde Gewichte hoben, machte Mentzer nie mehr als eine halbe Stunde. Doch wenn er trainierte, hob er in dieser halben Stunde mehr Eisen als die anderen über den ganzen Tag. Er spritzte sich Steroide in die Schultern, drückte Gewichte, bis seine Arme vor Schmerz zitterten. Danach konnte er sich oft für Stunden nicht bewegen. Es sah aus, als würde er sich bestrafen. Manchen, sagt Brainum, wurde beim Zusehen übel. Andere, wie Schwarzenegger, lachten. Mentzer aber verstand nicht, wie die anderen sich nicht so schinden konnten wie er.


Schwarzenegger bereitete sich inzwischen auf seine erste große Filmrolle vor, auf Conan , eine Rolle, die Muskelpakete verlangte: Er trainierte also wieder in Venice und niemand dachte sich etwas dabei. Hätte jemand sich etwas dabei gedacht, wäre Mentzers Leben vielleicht gerettet worden. Es dachte sich immer noch niemand etwas, als Schwarzenegger 1980 das Flugzeug nach Sydney bestieg – zum Mister-Olympia-Wettbewerb. Doch in Sydney in der Umkleidekabine, als Schwarzenegger sich eine Badehose anzog und eine Startnummer umhängte, erstarrten Mentzer die eingeölten Muskeln: Schwarzenegger tritt an, einfach so, unangemeldet! Ein Streit entbrannte, in dem Schwarzenegger Mentzers Freund, den Bodybuilder Boyer Coe, als “kleines Baby” bezeichnete, und schließlich Mentzer anging: “Mike Mentzer, wir alle wissen, dass du einen fetten Bauch hast!” Da ging Mentzer auf Schwarzenegger los, erinnert sich Coe, stürmte sieben Meter durch den Raum, eine Rauferei brach aus unter den stärksten Männern der Welt. Dreißig Minuten später begann jener Mister-Olympia-Wettkampf, der bis heute die Bodybuilder in aller Welt erregt. Schwarzenegger gewann. Mentzer wurde Fünfter und beendete am selben Abend seine Karriere als Profi. Fünf der neun Kampfrichter waren enge Freunde Schwarzeneggers, sagte Mentzer immer wieder, sogar noch Jahre später in Diavorträgen, die er zusammen mit Coe hielt. Mentzer wurde wütend, einer, der immer wetterte, er verlor seine Freunde. Agenten wollten ihn nicht mehr buchen. Mit Schwarzenegger sprach er bis kurz vor seinem Tod nicht mehr. Für die nächsten zehn Jahre sollte Mike Mentzer ein anderer sein, bis zu jenem Tag Anfang des Jahres 1990 schließlich, als sie ihn aus der Psychiatrie entließen. In Mentzers Leben brach eine Phase an, über die seine damaligen Freunde ungern reden. Eine Phase, in der eine zweite Persönlichkeit die Oberhand über ihn zu gewinnen schien. Seit 1978 nahm er täglich Speed, eine starke, aufputschende Droge. Dazu PCP, das ihm Halluzinationen brachte, seine Verlobte – die Frau seines Lebens, sagte Mentzer selbst Jahre später immer wieder – verließ ihn, er trank viel Alkohol und hatte Aussetzer: Momente, wo ihm der Verstand abhanden kam. Er hörte auf zu trainieren, schrieb nicht mehr, vergaß die Seminare. Sein Einkommen sinkt von 200000 Dollar im Jahr auf null. Niemand sieht ihm mehr an, dass er mal der begabteste Bodybuilder der Welt war. Stattdessen gibt es Gerüchte in Venice, die Polizei hätte ihn verhaftet, nackt, in einer Seitenstraße von Gold`s Gym, weil er auf dem Venice Boulevard den Verkehr regelte, verhaftet mit PCP auf einer Verkehrsinsel, wartend auf Außerirdische. Immer wieder kommt er in die Psychiatrie, immer wieder hilft es nichts. Im Jahr 1989 nimmt er seine letzte Linie Speed. Im Januar 1990 wird er wieder einmal nach einem vierwöchigen Aufenthalt aus der Klinik entlassen. Diesmal haben sie ihn wegen Schizophrenie behandelt. Er bekommt Lithium. Und dann kommt Mike Mentzer wieder. Seine Seele scheint geheilt. Er hat noch elf Jahre zu leben.
Der Autopsiebericht 01-04287 von Dr. Christopher Rogers, Gerichtsmediziner des Los Angeles Sheriff Department, Mordkommission, ausgestellt für Michael J. Mentzer, gibt Zeugnis über einen lange kranken Mann. Wieder wussten die Freunde nichts, für sie war Mentzer der Zurückgekehrte, der Wissende, schlauer als sie alle. Einer, der dem Bodybuilding eine kluge Stimme verlieh. Zwar hatte Mentzer jetzt einen runderen Bauch, doch seine Besessenheit hatte er nicht verloren: Hatte er selbst seine Trainingsmethode nicht weltberühmt machen können, seine Schüler würden es jetzt für ihn erledigen. Mentzer war zurück im Gold`s Gym, wo sie ihn jahrelang verspottet hatten, unterhielt ein Büro dort im ersten Stock, trainierte junge Bodybuilder. Wenn man heute mit Leuten spricht, die Mentzer aus dieser Zeit kennen, fällt früher oder später das Wort Guru. Bald überstieg sein Ruhm den, den er als Aktiver hatte. Weil seine Anhängerschaft weit über Venice hinauswuchs, nach England, Australien, Russland, Deutschland, begann Mentzer seine Schüler am Telefon auszubilden, für 150 Dollar die halbe Stunde. Nachts schrieb er Bücher, die das Bodybuilding umkrempeln sollten. 1995 machte die Mike Mentzer Company ihre erste Million. Ray Mentzer erkrankte als Erster. Die Niere hörte auf, sein Blut zu reinigen. Da dachte jeder sofort, die Steroide seien schuld. Die Ärzte verboten Ray, weiter Gewichte zu heben. Verzweifelt begann Ray, Fahrrad zu fahren, lächerlich für einen Bodybuilder. Es sei eine angeborene Krankheit, sagte Ray, Nephropatie, die Niere sei nicht durch Steroide zerstört. Natürlich habe er früher Steroide in die Muskeln gespritzt, genauso wie Mike, genauso wie jeder Profi Bodybuilder. Der Gerichtsmediziner Rogers bemerkte bei der Autopsie Spuren von Anabolikamissbrauch. Genauso wie bei Mike waren sowohl Rays Leber wie auch die Milz auf die doppelte Größe angeschwollen, was Rogers auf Anabolika zurückführte, einen zwingenden kausalen Zusammenhang zur Nephropatie stellte er jedoch nicht her. Doch die Zweifel bleiben. Ray hat auch nach Mikes Methode trainiert, Heavy Duty, viel Gewicht. “Das kannst du nur machen, wenn du auf einer Menge Stoff bist, bei den Gewichten”, sagt Will Harris, einer der heutigen Stars im Gold`s Gym, dessen Haut über den Muskeln wohl bald zerplatzen muss. Jeder wisse, die Heavy-Duty-Methode funktioniere am besten mit vielen Steroiden, sagt auch Jerry Brainum, der in Ironman über Doping schreibt. Er erinnere sich, wie Mike 1994 versuchte, zum Profi-Bodybuilding zurückzukehren, für ein paar Wochen wieder Unmengen an Eisen stemmte, doch dann aufgab. “Er sagte mir, er könne es nicht ohne Buch anabole Substanzen.” Gene Mozee, der Mann mit dem Buckel, hat sich auf seine Visitenkarte den Titel Bodybuilding-Historiker drucken lassen, ein Anspruch, für den der alte Joe Gold nur Häme übrig hat, dort im World Gym an diesem Samstagnachmittag: “Historiker müssen erklären können, warum wichtige Personen sterben. Warum Hitler tot ist und Napoleon: Also, Gene: Warum ist Mike Mentzer tot? Warum Ray Mentzer?” Die Gene fallen Mozee ein, die Mentzers hatten außergewöhnliche Gene, das habe Mike ja auch immer wieder geschrieben: dass Muskelwachstum auch genetisch veranlagt sei. “Allerdings waren wohl ihre Gene nicht nur besonders in ihrer Muskelanlage, sondern auch anfällig für alle möglichen mentalen und körperlichen Gebrechen.” Gold blickt auf die Bilder an der Wand. Da hängt er, 1950, ein Herkulestyp, prächtige Muskeln. “Und wenn die Mentzers Steuerberater geworden wären? Lebten sie dann?” – “Ja, Joe. Du weißt das.” Ray musste bald viermal in der Woche sein Blut von einem Dialysegerät reinigen lassen. Sein Oberkörper vernarbte von den Infusionen und blähte auf wie ein Heißluftballon, weil die Niere die Gifte nicht wegschaffte. “Er wird schon wieder werden”, sagte Mike immer wieder. Doch wie in den späten Siebzigern, als seine Profikarriere zusammenbrach, kündigte sich eine Katastrophe an. 1998 brach er sich einen Arm und verdrehte sich ein Knie, ein dämlicher Unfall beim Ballspiel am Strand. Fehldiagnose im Krankenhaus, Operation, Nerven beschädigt; nun fehlte ihm das Gefühl im rechten Arm. Ein gefühlloser Arm kann keine Gewichte heben. Doch am Telefon, bei seinen täglichen Unterrichtsstunden in die ganze Welt, sprach der erbarmungslose, präzise Mike Mentzer, kanzelte die Schüler ab. Danach weinte er oft. Weil er nicht war, der er war.
Bald lag Mike Mentzer häufiger im Torrance Memorial Hospital als auf der Streckbank. Eine Wirbelsäulenverletzung, so schmerzhaft, dass die Ärzte Morphium verschrieben; eine Lungenentzündung, die er sich im Krankenhaus einfing; plötzlich ein Blutpfropfen, der vom Bein zur Lunge wanderte; die verschriebenen blutverdünnenden Mittel verwässerten sein Blut so sehr, dass nun Blut überall aus seinem Körper lief. Er wollte Ray eine seiner Nieren schenken, die Blutgruppe stimmte, doch die Ärzte winkten ab: Wer selbst so krank ist, überlebt eine Nierentransplantation nicht. Mike zog von seinem Haus in Marina del Rey zu Ray in dessen Zweizimmerapartment. Dort litten sie zusammen.
Doch Ray hielt den Niedergang des Bruders nicht aus. Er wachte bei ihm, wenn er im Krankenhaus war, bekam oft Angst, denn er selbst war so krank, da musste sein Bruder doch stark sein. Ohne ihn wüsste er nicht mehr weiter, sagte Ray oft. Nach einer jener durchwachten Nächte am Bett des Bruders erlitt Ray eine Panikattacke, fiel um und verpasste die Dialyse. Der Notarzt brachte ihn in die Notaufnahme, und da lagen sie nun, die Brüder, der eine auf der Intensivstation, der andere in der Ambulanz. Das Jahr 2000 hatte begonnen. Ahnte Mike Mentzer, dass er sterben würde? Jerry Brainum hebt heute noch immer die Eisenplatten in Gold`s Gym, täglich, unermüdlich, einer der Letzten, die dort übrig geblieben sind aus der Zeit von Mike und Ray Mentzer, die nun seit 13 Monaten tot sind. Das Gold`s Gym ist nicht mehr jener kleine Verschlag, in dem die Mentzers vor 25 Jahren begannen; heute liegt es am Hampton Drive, eine Fitnessbude für Sportwagenfahrer, fast schon im Bandengebiet, in einer zweigeschossigen Halle. “Das Mekka des Bodybuilding” steht über dem Eingang geschrieben, davor ein Parkplatz mit jener Art Autos, die die Amerikaner in Anspielung an die Aufschneiderei ihrer Besitzer “Penis Cars” nennen. Immer noch kommen die Profis hierher, zwängen ihre Muskelschwellungen durch das Drehkreuz, doch der Mythos bleibt draußen, eigentlich schon seit Joe Gold den Laden vor vielen Jahren verkauft und auf Drängen Schwarzeneggers das World Gym aufgemacht hat.


In einer Art Aufenthaltsraum sitzt Brainum, ein Fernseher, ein paar Spinde, ein wackliger Tisch, es stinkt. Fast ist es, als hielte Brainum Audienz, zu jenem Thema, das seine Stimme beschleunigt. Brainum, der Steroid-Experte, ist monatelang der Todesursache nachgegangen, wollte weder das Gerede über einen natürlichen Tod glauben noch das über Selbstmord. Er spürte den Gerichtsmediziner Rogers auf und studierte die Autopsieberichte. Mike Mentzers Tod sei ein Unfall gewesen, steht darin, und zwei Ursachen hätten den Tod herbeigeführt. Getötet hat Mike Mentzer eine Atherosklerose, die Verkalkung der Herzarterien. Einen akuten Herzinfarkt stellte Rogers nicht fest, allerdings zwei unbemerkte in der Vergangenheit. Schon die Menge an Morphium in Mentzers Blut, Magen und Herz hätte genügt, ihn zu töten. Nur, wie kam das Morphium dorthin? Joanne Sharkey, Mentzers ehemalige Sekretärin und größte Verehrerin, die nach langwierigem Rechtsstreit nun die Mike Mentzer Company übernahm, sagt: versehentliche Überdosis. Arnold Schwarzenegger rief Greg Breceda an, einst Cop und Mikes bester Freund: Ob die Polizei etwas über Steroide gesagt hätte, wollte er wissen, während Joe Gold nur feststellte, Mike hätte doch immer die Selbstzerstörung in sich getragen. Brainum glaubt, dass Mentzer wohl eine Art Herzinfarkt erlitt, die Schmerzen nicht aushielt und deshalb zu viel von dem Morphium schluckte, das die Ärzte ihm wegen seiner Rückenverletzung verschrieben hatten. Ray Mentzer starb nicht nur 38 Stunden später und nicht nur in derselben Wohnung. Sein Autopsiebericht ist auch fast identisch mit Mikes, das ist das unheimliche: Ray starb an den genau gleichen Todesursachen, der Atherosklerose und dem Morphium. Rogers, der Gerichtsmediziner, ermittelt wegen Selbstmordes, ohne eindeutiges Ergebnis. Ein Unfall, hervorgerufen durch Drogeneinnahme, schreibt er schließlich. “Das mit Ray ist eine andere Geschichte”, sagt Brainum. “Ich glaube, der hat sich umgebracht. Weil er den Tod seines Bruders nicht aushalten konnte. Genug Morphium hatte er ja.” Der Autopsiebericht schließt diese Deutung nicht aus. Er beweist sie aber auch nicht.
Kurz vor seinem Tod, als das Jahr 2001 anbrach, standen noch zwei Kapitel offen in Mike Mentzers Leben: Die Niederlage bei Mister Olympia 1980 gegen Schwarzenegger und ein Video, das seine Trainings-methode endlich auch in Bildern unsterblich machen sollte. Beide sollten sich schließen, wenige Wochen vor seinem Tod. “Für mich sieht das schon sehr nach einer Exit-Strategie aus”, sagt John Balik, Chefredakteur von Ironman und bekannt mit Mentzer seit dessen frühesten Wettkämpfen. “Nach so vielen Jahren kommt alles in Ordnung, und nur Stunden danach stirbt er.” Zuerst bekommt Mike Mentzer einen Anruf von Arnold Schwarzenegger: Ob er etwas für ihn tun könne, fragt ihn jener Mann, den Mike Mentzer zwanzig Jahre lang bezichtigt hatte, sein Leben zerstört zu haben. Sie sprachen zum ersten Mal seit jenem Moment in der Umkleidekabine in Sydney. Mentzer war tagelang bewegt von Schwarzeneggers Geste, berichten seine Freunde. Am 9. Juni letzten Jahres hatte Mike Mentzer nur noch eine Sache zu tun: Er packte die letzten verbliebenen Kräfte in seinen ehemaligen Herkuleskörper, schluckte Morphium gegen die Schmerzen, und drehte das Video, ein trauriges Zeugnis, wie Boyer Coe, sein ehemaliger Kumpel und Mitstreiter, findet. Mike Mentzer, 49 Jahre alt, sieht aus wie siebzig in dem Film, wo er seinen Probanden, den Deutschen Markus Reinhardt, die Zentner stemmen lässt. Mike zittert. Ray ist auch zu sehen, Mike hatte darauf bestanden. Doch die Brüder, Stunden vor ihrem Tod, spürten zum ersten Mal seit Jahren wieder Glück. “Das, andererseits, spricht wieder gegen den Selbstmord”, sagt Chefredakteur Balik und sieht dabei so ratlos aus wie der alte Joe Gold, wenn er sich die Fußsohle unter seinen Lammfellpuschen kratzt.

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